Festhaltetherapie
- Halte-Methode
- Holding-Therapie
Eine in der Psychotherapie nicht anerkannte Form der Therapie.
Schuster, Udo: Festhaltetherapie nach Prekop - Wirksame Hilfe oder pseudowissenschaftlich verbrämte Kindesmisshandlung?
Begründerin:
Dr. phil. Jirina Prekop, Dipl.-Psychologin, geboren 1929. Dr. phil. Jirina Prekop, Dipl.-Psychologin, geboren 1929. Flüchtete nach eigener Darstellung 1970 als "Kämpferin für die Erneuerung des Humanismus und der Demokratie ... nach dem Zusammenbruch des Prager Frühling" in die Bundesrepublik Deutschland. Hier sei sie im Bereich der Entwicklungsrehabilitation tätig gewesen und habe sich besonders für "Persönlichkeitsstörungen, die mit dem Verlust der Liebesfähigkeit einhergehen" interessiert. Besonders habe sie sich in den Autismus als "extremste Störung" vertieft und deshalb 1981 von der New Yorker Psychologin Martha Welch die Festhaltetherapie übernommen. Unterstützt worden sei sie dabei von dem niederländischen Nobelpreisträger Nikolas Tinbergen (+1988), für den der Mensch ein Mensch ein instinktreduziertes Wesen(Anm. 1) ist. Seine Theorien sind zwischenzeitlich umstritten und teilweise widerlegt(Anm. 2). Wie bei vielen anderen umstrittenen Therapieformen auch, vermengt Prekop wissenschaftliche Ansätze mit esoterisch-spirituellen Überzeugungen und kreiert daraus ihre eigene Therapieform. "Indem sich die Festhaltetherapie von den verhaltenstherapeutischen Konditionierungstendenzen lossagte, die bedingungslose Liebe zu ihrem spirituellen Sinn machte und den systemischen Ansatz von Bert Hellinger integrierte, wurde es notwendig, diese Art zur Festhaltetherapie nach Prekop zu nennen."(Anm. 3)
Lehre:
Ursprünglich war die Festhaltetherapie zur "Behandlung schwieriger Kinder" vorgesehen.(Anm. 4) Als schwierige Kinder gelten dabei insbesondere solche mit autistischen Störungen. Ursache des Autismus ist nach Prekops Mentor Tinbergen ein falsches Verhalten der Mutter ihrem Kind gegenüber. Autismus sei eine Art von Ersatzsicherheit, die das Kind entwickle. Zur Heilung sei eine Annäherung zwischen Mutter und Kind erforderlich. Die am besten geeignete Methode hierfür sei die körperliche Berührung, um die autistische Schranke des Kindes zu durchbrechen. Nachdem diese aber die Berührung ~^Vwas in der Natur der Erkrankung liegt- ablehnen, müsse das Kind solange festgehalten werden, bis es die Berührung dulde. Prekop sieht in einer zu frühen Trennung von der Mutter und einer damit einhergehenden Isolation die Ursache für den kindlichen Autismus. Als Folge daraus entwickle das Kind eigene Mechanismen, die die Mutter wiederum trennungsbedingt nicht kennen lernen und damit auch nicht angemessen darauf reagieren könne. Durch das letztlich in unseren gesellschaftlichen Verhältnissen begründete Fehlverhalten der Mutter, sei das beiderseitige Verhältnis gestört. Diese Störung gelte es abzubauen, um das Kind aus seiner Isolation herauszuholen.(Anm. 5)
Die Festhaltemethode verfolgt also das Ziel "die Angst vor Nähe, die das Kind auch engen Bezugspersonen gegenüber hat, durch das Festhalten abzubauen oder zu überwinden."(Anm. 6) Bei der Halte-Therapie wird das Kind von einem Therapeuten oder Elternteil zwangsweise gehalten "bis das Kind seinen Widerstand aufgibt oder bis eine bestimmte Zeitspanne vorüber ist. Manchmal wird der Zwang erst gelöst, wenn Augenkontakt erfolgt ist."(Anm. 7) Prekop selbst preist dies mit überschwänglichen Worten "Ich kenne keine edlere Übung der Empathie und der Kultivierung der aggressiven Auseinandersetzung als die, welche das Festhalten bietet."(Anm. 8)
Methode:
Die Therapiesitzung besteht aus drei Phasen, die Prekops geistige Mentorin Welch wie folgt beschreibt:
- die Auseinandersetzung (Konfrontation)
- der Zurückweisung (Rejektion) und
- der völligen Auflösung der Spannung (Resolution)(Anm. 9)
"In der Standardhaltung sitzt das Kind dabei rittlings auf dem Schoß der erwachsenen Bezugsperson, die Arme vor dem Bauch verschränkt. Dann wird es - auch stundenlang - fest umklammert. Größere und stärkere Kinder liegen mit dem Rücken auf dem Boden, der Erwachsene setzt sich auf sie und drückt sie mit seinem Körpergewicht zu Boden."(Anm. 10)
Laut Prekop werde das Kind in der ersten Phase von der Mutter in den Arm genommen. Zwar solle durch die "dichte Umarmung" keine Atemnot entstehen oder zu sehr gedrückt werden, allerdings darf es weder "über seine Lage, noch über seine Bewegung entscheiden, der Umarmung entfliehen können, oder sich durch Gegenstände und stereotype Verhaltensweisen ablenken lassen"(Anm. 11).
In der nächsten Phase gilt es nunmehr das Kind zu reizen, um die Konflikte anzuheizen. Reagiert das Kind nicht auf die Umarmung, dann wird es provoziert. Trost könne nämlich nur der empfinden, der in einer unerträglichen Situation steckt. "Die Krise ist ausgebrochen (oder wurde durch Provokation erzeugt; Anm. M.K.) und der Sinn des Festhaltens ist es, sie anzunehmen, durch sie hindurchzugehen, indem die affektive Ambivalenz ausgelebt und geordnet wird."(Anm. 12) Man setzt das Kind also bewusst Situationen aus, die ihm unangenehm sind, wovor es Angst hat und die es folglich meidet. "Dem Kind werden die zwanghaften Stereotypien verboten und es wird mit Wahrnehmungsangeboten, auf die es überempfindlich reagiert (die aber durchaus zum Normalen gehören) überflutet".(Anm. 13) Äußert das Kind Bedürfnisse z.B. auf die Toilette zu gehen oder fragt nach dem Grund der zwanghaften Umarmung, so sind dies nach Prekops Deutung Ausflüchte, auf die sie eine Reaktion verbietet. "In dieser Umarmung sollst du spüren, dass du lieben kannst."(Anm. 14) Notfalls uriniert das Kind während der Umklammerung.(Anm. 15)
Wird das Kind zu aggressiv und reichen die Kräfte der Mutter oder des Therapeuten nicht aus, dann darf das Kind schon mal mit Haltegurten, die der Psychologe Colin Goldner als eine Art Zwangsjacke für zwei bezeichnet- an der Mutter festgeschnallt werden.(Anm. 16) Diese hat dann die Hände frei zur Abwehr oder um das Kind zu trösten. Auch der Einsatz mehrer Erwachsener gegen das unbotmäßige Kind kann angezeigt sein.(Anm. 17)
Getröstet wird das Kind aber erst dann, wenn es aggressiv wird. Es soll dann von der Mutter ohne Rücksicht auf die Reaktionen des Kindes mit Trostzeichen überhäuft werden (Streicheln, Schmusen, Küssen, Zureden). Dies sind Berührungen, die nämlich gerade autistischen Kindern unangenehm sind. Auf Anzeichen des Kindes soll die Mutter dabei nicht reagieren. Reagiert das Kind auf diese "aufheiternden Angebote" noch nicht mit "Lust", geht es weiter, weil das Kind noch "nicht durch" ist. Gegebenenfalls ist das Festhalten eben wieder aufzunehmen. Wird es von sich aus nicht aggressiv, dann darf nachgeholfen werden. "Wo das Kind von sich aus keine Unzufriedenheit zeigt, soll diese provoziert werden."(Anm. 18) Wird es heiter, dann ist die Wende eingetreten. Prekop spricht von einer "dynamischen Kurve" in jeder Sitzung. Einem immer weiter folgenden Anstieg von Anspannung, Flucht, Angst, Wut, Trauer und Hass folgen ab einem Wendepunkt Entspannung, Bindung, Geborgenheit, Lust, Freude und Liebe.
Darauf folgt die Entspannungsphase, das Kind beginnt Kontakt aufzunehmen, die Körperspannung lässt -vielleicht auch in erster Linie erschöpfungsbedingt (Anm. U.S.)- nach und die Atmung wird ruhiger. Nunmehr geht die Mutter auf die Bedürfnisse des Kindes ein, indem sie es streichelt und mit ihm spricht. Die Umarmung soll jedoch auch jetzt nicht gelöst werden, so lange bis das Kind "die negativen Gefühle in Liebe umgewandelt hat".(Anm. 19) Wann das Kind wieder losgelassen wird bestimmt die Mutter.
Die Dauer einer derartigen Sitzungsprozedur kann bis zu vier Stunden betragen, eventuell auch bis sechs Stunden und darüber falls erforderlich. Nachdem eine solche "Behandlung" nicht lautlos vor sich geht, gelte es Nachbarn rechtzeitig zu informieren und die Geschwister des Kindes darauf vorzubereiten. Diese sollten am besten einmal "selbst gehalten werden, denn nur wer die Dynamik einer Haltetherapie erlebt kann sie verstehen".(Anm. 21)
Kritik:
Es fällt schwer bei dieser pseudowissenschaftlichen Gewalt"therapie" nicht in Zynismus zu verfallen. Unterschiede zu einer Gehirnwäsche sind nur schwer auszumachen. Es stellt sich die Frage, ob Kinder nicht eine Art "Stockholm-Syndrom" zeigen, um dieser Art "liebevoller"Behandlung durch die Mutter oder den Therapeuten zu entkommen.
Interessanterweise hat sie nach eigenen Aussagen Ansätze Hellingers integriert. Dessen nicht minder umstrittene Pseudeotherapie des Familienstellens basiert auf einer ähnlichen autoritären Gedankenwelt, wie die der Jirina Prekop. Wie Hellinger mittels Stellen einer "Herkunftsfamile" Lösungsansätze für Probleme suggeriert, so verspricht Prekop mit Ihrer Haltetherapie ähnliche Möglichkeiten, denn "auch für die Eltern bedeutet das Festhalten ihrer Kinder eine Chance (...), die eigenen Beziehungen und die gemeinsame Beziehung reifen zu lassen". Für die Mutter bietet sie die Möglichkeit, ihr Verhältnis zum Mann und zur eigenen Mutter zu überdenken.(Anm. )
- Prekop propagiert unter einem pseudotherapeutischen Ansatz, dass Eltern körperliche Überlegenheit gegen Kinder einsetzen sollen. Stundenlanges Festhalten gegen den Willen des Kindes, ist eine abstoßende Form psychischer Gewaltausübung unter dem Deckmantel der Therapie.
- Passive Kinder mittels Provokation zu Abwehrhaltungen erst zu provozieren ist eine Art der Folter. Gleiches gilt für die bewusste Überflutung mit Reizen, die das Kind ablehnt und/oder auf die es überempfindlich reagiert.
- Willensäußerungen des Kindes werden bewusst nicht ernst genommen. Dafür wird der Willensbegriff umdefiniert: "Es ist nämlich die Frage, was wir unter dem Willen verstehen und auf welchen Wachstumsstufen sich der Wille entwickelt. Über einen freien Willen verfügt der Mensch erst dann, wenn er zwischen Alternativen wählen kann, weil er aufgrund seines geistigen Kombinierens die guten oder die schlechten Folgen seiner willentlichen Entscheidung übersehen kann. So weit ist ein Kleinkind noch lange nicht. Es kann noch nicht darüber entscheiden, ob es sich beschützen lassen möchte oder nicht."(Anm. 23)
- Durch derartige Zwangsmaßnahmen wird da Urvertrauen zwischen Mutter und Kind nachhaltig gestört, wenn nicht sogar zerstört. Spätfolgen bleiben ebenfalls völlig außer Betracht.
- Gerade bei autistischen Kindern, die auf Berührungen in der Regel sehr sensibel, empfindlich und ablehnend reagieren, können erzwungenes Festhalten, zwangsweise Liebkosungen etc. zu einer Verschlimmerung ihres Krankheitsbildes führen. Prekops Ansätze zur Behandlung autistischer Kinder basieren auf Thesen Tinbergens, die von anderen Wissenschaftlern als "nicht nur einfältig, sondern falsch" eingestuft werden.(Anm. 24)
- Auch bei Kindern mit einer Aufmerksamkeitsstörung (ADS/ADHS) hilft Prekops Methode nicht, sondern bewirkt eher das Gegenteil.
- Ähnlich wie Hellinger wird das Festhalten als "Heilmittel" für viele Gelegenheiten, seien es streitende Geschwister, einnässende Kinder, Adoptivkinder etc. verkauft. Auch andere Aussagen erinnern stark an Hellinger. "Damit der Mensch einmal erwachsen werden kann, soll er seine Eltern ehren, wo möglichst auch lieben. Also laden wir die Oma oder den Opa ein, damit sie auf der Matte den langjährigen Schmerz mit ihrem erwachsenen Kind endlich einmal bewältigen. Nicht selten zieht sich der Schmerz von einer misslungenen Geburt her. In solchen Fällen dient das Festhalten der Rückführung und der Rehabilitation der Geburtserlebnisse."(Anm. 25)
- Ähnlich wie Hellinger wird eine Art "Wunderheilung im Schnellverfahren" versprochen. Auch hier handelt es sich mehr um eine "Fast-Food-Therapie", als um einen fundierten und langfristig angelegten Heilungsprozess, sofern gerade bei autistischen Kindern eine Heilung überhaupt möglich ist.
- Prekop überhöht ihren Ansatz zur Heilslehre, wenn sie behauptet ihre Vorgehensweise sei christlich-ganzheitlich und die Urform der Nächstenliebe.(Anm. 26)
- Oder sie zieht Vergleiche zum Kampf Jakobs mit Gott in der Bibel.
- Zwangsweises Festhalten ist eine Form der "Gewaltausübung ohne Schläge". Damit wird Wut von Eltern schwierigen Kindern gegenüber abreagiert. Damit hilft die Festhaltetherapie vielleicht den Eltern und dem Geldbeutel des "Therapeuten", für das Kind ist sie schädlich.
Es ist vor diesem Hintergrund nicht nachvollziehbar und verständlich, warum Irina Prekop gerade in kirchlichen Einrichtungen ein Forum bekommt, um Ihre Thesen und Therapiemethode zu propagieren.(Anm. 27)
Anmerkungen:
Anm.1.: vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Nikolaas_Tinbergen
Anm.2: a.a.O.; ferner http://marvin.sn.schule.de/~biologie/medien/blaetter/msluselreiz.PDF
Anm.3: Siehe: http://www.prekop-festhalten.de/prekop.html
Anm.4: Colin Goldner: Die Psychoszene, Aschaffenburg: Alibri-Verlag, 2000, S. 269
Anm.5: vgl. Kremmer, Monika: Ein Erklärungsmodell zur Festhaltetherapie nach Prekop.
Anm.7: Die Gefahr der Halte-Therapie von Jan Hunt, M. Sc. übersetzt aus dem Englischen von Rabeneltern.org. http://home.qualimedic.de/~birgit.gutsche/festhalt.htm
Anm.8: Siehe: http://www.prekop-festhalten.de/prekop.html
Anm.9: Welch 1991, S. 30 zitiert nach Kremmer a.a.O. S. ??
Anm.10: Müller-Lissner, Adelheid: "Und bist du nicht willig" In: Der Tagesspiegel 8. 10. 2004
Anm.12: Prekop 1989, S. 116 zitiert nach Kremmer a.a.O.
Anm.13: Prekop 1989, S. 121 zitiert nach Kremmer a.a.O.
Anm.15: Müller-Lissner, a.a.O.
Anm.17: Prekop 1984b, S. 1049; Mall 1983, S. 44, zitiert nach: Wolfgang Kisckel / Norbert Störmer: Kritische Überlegungen zur Festhaltetherapie. In: Behindertenpädagogik 27(1988)2, S. 185-197
Anm.18: Prekop 1983a, S. 3f.; Mall 1983, S. 43, zitiert nach: Kisckel/Störmer a.a.O.
Anm.20: Selbstdarstellung der Gesellschaft zur Förderung des Festhaltens als Lebensform und Therapie e.V., zitiert nach: Goldner, a.a.O.
Anm.22: Prekop 1989, 112, zitiert nach: Kremmer, a.a.O.
Anm.23: Siehe: http://www.prekop-festhalten.de
Anm.24: Rutter 1984, zitiert nach: Kisckel/Störmer a.a.O.
Anm.25: Siehe: http://www.prekop-festhalten.de/prekop.html
Anm.26: Zitiert nach Goldner, a.a.O.
http://www.sonntangsblatt.de/artikel/2000/30/30-s4.htmhttp://www.erlangen-evangelisch.de/ebw/EBZ-2000-10.htmhttp://www.kath.-kirche-salach.de/seiten/mitteil/100_jahre.htmhttp://www.kath-bildungswerk-freudenstadt.de/termine0205.shtml